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«Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir die Qualität des Bodens verbessern, auch in der Schweiz»

Carte Blanche für Pascal Boivin, Haute école du Paysage, d'Ingénierie et d'Architecture (HEPIA)

09.11.2022 – Böden speichern grosse Mengen an Kohlenstoff in Form von Humus. Mit neuen landwirtschaftlichen Praktiken kann der Humusgehalt erhöht und damit mehr CO2 im Boden gebunden werden. Immer mehr Akteure erkennen das Potenzial und die vielfältigen positiven Effekte. Für die Umsetzung sind nebst der Landwirtschaft auch alle anderen Akteure entlang der Produktionskette gefragt.

Pascal Boivin
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Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

In der Klimadebatte wurden die Böden bis vor kurzem kaum beachtet. Das ist erstaunlich, denn der Klimawandel liesse sich durch eine Regeneration der Böden wirksam bremsen. Humus bildet sich durch die Zersetzung von Pflanzenrückständen, sein Kohlenstoff stammt also aus CO2 der Atmosphäre. An der UN-Klimakonferenz 2015 wurde die Erhöhung des Humusgehalts in den Böden als einzige Massnahme taxiert, die im Unterschied zu anderen so genannten negativen Emissionstechnologien einsetzbar und realistisch ist und eine signifikante Wirkung haben könnte. Dies lässt sich mit einer einfachen Zahl illustrieren: Die jährlichen globalen Emissionen von fossilem Kohlenstoff entsprechen 4/1000 des als Humus gespeicherten Kohlenstoffs. Wir müssten also die Humusschicht unserer Böden pro Jahr um 4 Promille vergrössern und würden so die gesamten jährlichen Emissionen neutralisieren.

Vielversprechende Studien aus der Schweiz

Um die Speicherung von Kohlenstoff in Böden zu fördern, wurde an der UN-Klimakonferenz 2015 die «4/1000»-Initiative lanciert. 196 Länder und viele private Akteure haben bereits unterzeichnet. Im Nachgang gab es jedoch eine intensive wissenschaftliche Debatte zum tatsächlichen Potenzial des Ansatzes: Kann man CO2 durch die Bewirtschaftung von Böden dauerhaft speichern, wenn ja, wie und wie schnell?

Mittlerweile sind die Fragen weitgehend geklärt. Studien auf Bauernhöfen, insbesondere in der Schweiz, zeigen ein sehr grosses Potenzial. Dank geringer oder keiner Bodenbearbeitung, einem stets bedeckten und mit Gründünger angereicherten Boden sowie einer grossen Pflanzenvielfalt lassen sich der Humusgehalt der Schweizer Böden um mehr als 4 Promille pro Jahr erhöhen und gleichzeitig die Erträge erhalten oder sogar steigern.

Einkommen verbessern sich

Die Methoden wurden von Pionierlandwirtinnen und -wirten auf der ganzen Welt entwickelt. Sie erzielen damit auch ein verbessertes Einkommen und haben mehr Zeit. Viele berichten, sie hätten ihre Freude an der Arbeit wiedergewonnen. Auch an der Reduzierung von Pestiziden arbeiten sie. Den Einsatz von Fungiziden und Insektiziden konnten sie bereits senken, bei Herbiziden braucht es noch weitere Fortschritte. Insgesamt ist der Weg zu einer konservierenden ökologischen Landwirtschaft vorgezeichnet mit Fortschritten Jahr für Jahr.

Dieser Übergang ist eine Notwendigkeit. Es geht um weit mehr als um Klimaschutz. Viele der Bodenfunktionen sind abhängig vom Humusgehalt: Die Hochwasserregulierung, die Speicherung von Wasser und die Biodiversität, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch die Ernährungssicherheit braucht gute Böden. In der Schweiz ging jedoch im 20. Jahrhundert viel Humus verloren. Die offenen Ackerflächen erfüllen längst die Mindestqualität nicht mehr; man spricht von einem Humusdefizit von 30 bis 70 Prozent je nach Bodentyp.

Nicht nur die Landwirtschaft ist gefordert

Die Bodenqualität wiederherzustellen trägt viel zur Bewältigung der Klimakrise bei, hat viele weitere Vorteile und die Mittel sind vorhanden. Mittlerweile haben neben den Staaten auch die grossen Akteure der Lebensmittelindustrie das Potenzial erkannt. Sie wollen einen schnellen Übergang zu einer Regenerativen Landwirtschaft, da ihre CO2-Bilanz stark davon abhängt. Ihr Engagement ist entscheidend, denn letztlich bestimmen die Abnehmer die Produktionsmethoden der Landwirtschaft.

Um das Momentum zu nutzen, bedarf es grosser Anstrengungen in den Bereichen Ausbildung und Koordination innerhalb der Produktionsketten, aber in erster Linie seitens der Entscheidungstragenden. Bei der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Landwirtschaft ist es wichtig, dass die Entscheidungs-, Innovations- und Entwicklungsmacht der Landwirtschaft anerkannt wird. Die Ziele des Green Deal der EU haben dies gut integriert und viele öffentliche und private Entscheidungen in der Schweiz und auf der ganzen Welt gehen in diese Richtung. Man darf Hoffnung auf echte Fortschritte haben.

Die Carte Blanche stützt sich auch auf den Bericht «Regenerative agriculture in Europe», der im April 2022 von EASAC veröffentlich worden ist, ein Zusammenschluss der Nationalen Akademien der Wissenschaften in Europa.

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Pascal Boivin ist Bodenspezialist und Professor an der Haute école du Paysage, d'Ingénierie et d'Architecture (HEPIA) der HES-SO Genf. Er hat beim Bericht «Regenerative agriculture in Europe» mitgearbeitet.

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