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Zürcher Teilchenphysiker sorgen mit XENON-Kollaboration für Aufsehen

Gibt es sie wirklich, die leichten Gesellen?

Axionen sind Elementarteilchen mit extrem geringer Masse. Bisher existieren sie nur in den Gedankengebilden von theoretischen Physikern, beobachtet hat sie niemand. Wirklich nicht? Messergebnisse an Detektor XENON1T in Italien lassen aufhorchen.

XENON
Bild: XENON collaboration

Die aktuellen Ergebnisse des XENON1T-Detektors, die vor einigen Tagen veröffentlicht wurden, haben das Zeug zu einer Sensation. Im besten Fall könnten sie das Verständnis der Materie auf eine neue Grundlage stellen und unser Weltbild verändern. Doch die Physikerinnen und Physiker, die an den jüngsten Messungen beteiligt waren, wollen Wort wie „Sensation“ nicht in den Mund nehmen. Sie wissen: Vielleicht sind die Messdaten, die die vermeintliche Sensation enthalten, auch ganz anders, ganz banal zu erklären: Als statistische Fluktuation, die sich bald in Luft auflösen. Oder als ein störender Einfluss, der die Messung verzerrt.

Überschuss an Ereignissen

Der XENON1T-Detektor war von 2016 bis Ende 2018 im italienischen Untergrundlabor Gran Sasso in Betrieb. Mit diesem werden bisher unbekannte Elementarteilchen gesucht. Der Detektor besteht im Grunde aus einem Tank, der mit flüssigem Xenon gefüllt ist. Gelangt ein Teilchen von aussen in den Tank, kann es mit einem Xenon-Atom kollidieren und dabei schwache Lichtsignale auslösen und Elektronen aus dem getroffenen Xenon-Atom schlagen. Der Tank ist an den Wänden mit dem hochreflexiven Kunststoff PTFE ausgekleidet, während an der Ober- und der Unterseite 248 hochempfindliche Photosensoren angebracht sind, die die Lichtblitze aufzeichnen können.

Die am XENON1T-Experiment beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine genaue Erwartung, wie viele Lichtblitze in einer bestimmten Zeit von den bisher bekannten Teilchen zu erwarten sind. Als die Forscher die zwischen 2016 und 2018 aufgezeichneten Daten analysierten, waren sie bass erstaunt: 232 Blitz-Ereignisse hatten sie für den fraglichen Zeitraum erwartet. Tatsächlich fanden sie 285, also 53 mehr als vorhergesehen.

Drei mögliche Erklärungen

Diese Abweichung scheint für den Aussenstehenden wenig spektakulär zu sein. Ganz anders für die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wiossenschaftler. „Die neusten Ergebnisse des XENON1T-Detektors sind sehr aufregend“, sagt Laura Baudis, Physikprofessorin an der Universität Zürich, die am Experiment führend beteiligt ist. „Der beobachtete Signalüberschuss lässt verschiedene Erklärungen zu, die sehr spektakulär sein könnten, oder aber auch relativ banal.“

Banal wäre die Erklärung, wenn der Signalüberschuss daher rühren würde, dass in dem flüssigen Xenon extrem kleine Mengen des radioaktiven Wasserstoffisotops Tritium vorhanden sind. Der Signalüberschuss liesse sich in diesem Fall durch die radioaktiven Zerfälle des Tritiums erklären und würde physikalisch kaum neue Erkenntnisse mit sich bringen.

Die zweite mögliche Erklärung wäre weitaus spannender: In diesem Fall würden die überschüssigen Lichtblitze von Neutrinos stammen, jenen praktisch masselosen Elementarteilchen, die Materie durchdringen, praktisch ohne sich bemerkbar zu machen. Sollte der Signalüberschuss tatsächlich von Neutrines stammen – so leiten die Teilchenphysiker aus ihren Beobachtungen ab –, würde das bedeuten, dass das magnetische Moment der Neutrinos grösser ist als bisher angenommen.

Hinweis auf Dunkle Materie

Die dritte Erklärungshypothese ist der Nachweis des Axions – und das wäre die eingangs erwähnte wissenschaftliche Sensation. Das Axion ist mindestens 500 000 mal leichter als ein Elektron und etwa gleich schwer wie ein Neutrino, zudem hat es keinen Spin, ist also ein sogenanter Skalar. Das im XENON1T-Experiment gemessene Energiespektrum sieht tatsächlich demjenigen ähnlich, das für Axionen vorhergesagt wird, die in der Sonne erzeugt werden und von dort zur Erde gelangen. Wie aber kamen Teilchenphysiker überhaupt auf die Idee, dass es Axionen geben könnte? „Die Teilchen wurden von theoretischen Physikern postuliert, weil ihre Existenz erklären könnte, warum die Zeitumkehrsymmetrie bei der schwachen Wechselwirkung verletzt ist, nicht aber bei der starken Wechselwirkung (Kernkraft). Die Existenz von Axionen würde also ein bestehendes Problem des Standardmodells der Teilchenphysik lösen“, sagt Baudis.

Nicht nur deswegen wäre die Entdeckung dieses Elementarteilchens spektakulär. Axionen könnten zudem ein Bestandteil von Dunkler Materie sein, also jener Form von Materie, die unser Universum zu grossen Teilen ausfüllen dürfte, ohne dass sie bisher nachgewiesen werden konnte. Doch auch hier warnt Laura Baudis vor voreiligen Schlüssen: „Wenn wir Axionen nachweisen könnten, wäre das ein Durchbruch im Verständnis der Materie. Damit wäre aber noch nicht bewiesen, dass es sich bei diesen Teilchen um Dunkle Materie handelt. Das müsste mit neuen Experimenten unabhängig nachgewiesen werden.“

Universität Zürich ganz vorne dabei

Die Universität Zürich war am XENON1T-Experiment an führender Stelle beteiligt. Ihre Wissenschaftler haben die sogenannte Zeitprojektionskammer im Innern des Detektors gebaut und am Physik-Departement in einem grossen Stickstoff-Kryostaten auf mechanische Stabilität getestet. Die Forscher haben die zusammen mit dem japanischen Unternehmen Hamamatsu Photonics die 248 Photodetektoren mit extrem niedrigem Radioaktivitätslevel entwickelt, zudem die zugehörige Ausleseelektronik und das Lichtkalibrierungssystem gebaut. Ferner zeigten sie mit einem eigens gebauten Radioaktivitäts-Messgerät, welche Materialien sich zum Bau des XENON1T-Detektors eigneten. Zu guter Letzt haben sie gemeinsam mit Forschungsgruppen aus Chicago und San Diego die Datenanalysen erstellt, die zu den jüngsten Ergenbnissen führten.

Es versteht sich von selbst, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des XENON-Experiments möglichst schnell klären wollen, welche der drei Interpretationen tatsächlich zutrifft. Das soll mit dem XENONnT-Detektor möglich werden, der Ende 2020 in Gran Sasso seinen Betrieb aufnimmt. „In dem neuen Detektor werden wir Teilchen nicht mit einer, sondern mit vier Tonnen flüssigem Xenon aufspüren, wodurch wir mehr Ereignisse aufzeichnen können und eine aussagekräftigere Statistik erzielen“, sagt Laura Baudis. „Da wir zudem die Hintergrundeinflüsse um einen Faktor 6 und mehr verringern können, werden wir die Ereignisse klarer sehen. Wir gehen davon aus, dass wir bis in einem Jahre Gewissheit haben, welche der drei möglichen Erklärungen zutrifft – und ob wir in unserem Detektor tatsächlich Axionen beobachten können.“

Autor: Benedikt Vogel

  • A centrepiece of the XENON1T detector: the time projection chamber.
  • XENON detail
  • XENON detail - 2
  • A centrepiece of the XENON1T detector: the time projection chamber.Bild: XENON collaboration1/3
  • XENON detailBild: XENON collaboration2/3
  • XENON detail - 2Bild: XENON collaboration3/3

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