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Blog: Sustainability Science Dialogue – Nachhaltige Entwicklung von Natur- und Siedlungsräumen im Kanton Bern

Ein Event der SRI, des Forum Landschaft, Alpen, Pärke, der Berner Fachhochschule (BFH) und der Wyss Academy for Nature, 14. Juni 2022

Für den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft spielt der Umgang mit unseren Natur- und Siedlungsräumen eine zentrale Rolle. Wie können wir resiliente Erholungsräume schaffen, zukünftiges Wohnen und Arbeiten gestalten und regional und nachhaltig konsumieren? Auf der Basis der Vision von «Thriving Spaces» wurden an diesem Event am 14. Juni, zusammen mit der BFH und der Wyss Academy sowie ExpertInnen aus Wissenschaft, Politik/Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Aspekte einer nachhaltigen Raumentwicklung im Kanton Bern sowie die grössten Herausforderungen und Wissenslücken hierzu diskutiert.

Sustainability Science Dialogue – Nachhaltige Entwicklung von Natur- und Siedlungsräumen im Kanton Bern

Nahezu 80 Teilnehmende aus verschiedensten Sektoren (den Berner Hochschulen, Verbänden, den Naturpärken, der Verwaltung und Lokalpolitik) fanden sich in der grossen Aula auf dem Marzili Campus der Berner Fachhochschule ein und wurden von Ingrid Kissling-Näf, Direktorin des Departements Wirtschaft und Präsidentin der Kommission Nachhaltige Entwicklung begrüsst. Kissling-Näf betonte die starke Ausrichtung der BFH auf Themen der nachhaltigen Entwicklung, insbesondere im Rahmen der drei strategischen Schwerpunkte Ernährung, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltige Siedlungsentwicklung. Diese wurden unter anderem auf Basis der «Priority Themes» der SCNAT entwickelt. Diese umfassen sechs Schwerpunktthemen, in denen die Schweiz zur Erfüllung der UNO Nachhaltigkeitsziele den grössten Forschungsbedarf aufweist. Eines der sechs Themen befasst sich mit «Thriving Spaces»: Nachhaltigkeit und Raumentwicklung. Eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit diesem Thema brauche gemäss Gabriela Wülser, Leiterin der Sustainability Research Initiative (SRI) der SCNAT, nicht nur ExpertInnen aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachbereichen, sondern auch aus der Praxis.

Im anschliessenden Podiumsgespräch mit Heike Mayer, Leiterin Wirtschaftsgeographie Universität Bern und Daniel Wachter, Amtsvorsteher des Amts für Gemeinden und Raumordnung Kanton Bern ging es um genau diese Vision von «Thriving Spaces», auf Deutsch «gedeihende Räume». Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie wir unsere Räume wahrnehmen, nutzen, nachhaltig gestalten und schützen und gleichzeitig unsere Lebensstile und die wirtschaftlichen Aktivitäten als Teil eines nachhaltigen Ganzen in Einklang bringen können. «Wie werden denn im Kanton Bern die verschiedenen Räume (Stadt, Land, Peripherie) wahrgenommen?», wurde gefragt. Oftmals werden die Peripherien als potenzialarme Räume angesehen, während die Ballungszentren als Motoren der Wirtschaft zelebriert werden. Der damit einhergehende Stadt-Land-Graben ist gemäss Mayer und auch Wachter zumindest in der Politik spürbar – die nötigen Mehrheiten für viele Abstimmungen im Klima- und Nachhaltigkeitsbereich sind nicht gegeben. Die vernachlässigten ländlichen und peripheren Räume melden sich an der Urne zurück und verschaffen sich somit Gehör. Diesen Graben gilt es zu überwinden, so dass in allen Regionen «Thriving Spaces» entstehen können.

Gute Beispiele für solche nachhaltig ausgerichteten Räume sind die Berner Naturpärke. Sie befassen sich mit der regionalen Entwicklung und dem Naturschutz, fördern das lokale Gewerbe und den Tourismus und schlagen dabei eine Brücke zwischen Peripherie und Zentrum. Zudem können die Menschen vor Ort aktiv mitgestalten und von den Naturpärken mitprofitieren. Die Beteiligung der lokalen Bevölkerung kommt auch ausserhalb der Pärke vor. Heike Mayer spricht hier die vielen sozialen Innovationen in peripheren Regionen an. Zum Beispiel im Simmental, wo man auf Initiative der Bevölkerung ein Geburtshaus lancierte, nachdem die Geburtsabteilung im Regionalspital aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wurde. Die Wissenschaft könne solche Kooperationen und Innovationen fördern und unterstützen, indem sie mit der Praxis in Dialog tritt. Die Forschung in Reallaboren vor Ort würde sich anbieten um neue Ansätze zu testen, anstatt vom vielbeschworenen Elfenbeinturm aus zu agieren.

Daniel Wachter betonte, man müsste die Ergebnisse aus der Forschung zwingend verstärkt in die Politik und Gesellschaft bringen, damit aus den Erkenntnissen gesetzliche Grundlagen geschaffen werden. Häufig wisse man zwar, was zu tun ist, aber nicht wie – im Bereitstellen von derartigem Transformationswissen sieht er unter anderem die Rolle der Wissenschaft.

In den anschliessenden Parallel-Sessions durften die Teilnehmenden in den Workshops «Resiliente Erholungsräume schaffen», «Zukünftiges Wohnen und Arbeiten gemeinschaftlich gestalten» und «Visionen und Wege zu nachhaltigem, regionalem Konsum» diese Themen in kleineren Gruppen vertiefter besprechen.

Workshop 1: Resiliente Erholungsräume schaffen
Viele ländliche und naturnahe Räume stehen unter Druck. Eine wirtschaftliche Nutzung von Agrar- oder Waldflächen, die Freizeitaktivitäten von Erholungssuchenden, die Gewinnung von erneuerbaren Energien, sowie der Schutz von Ökosystemen und Biodiversität stehen oft im Konflikt miteinander. Zunehmende Besucherzahlen wegen dem Bevölkerungsdruck, dem Trend zu Outdoor-Sportarten und der Corona-Pandemie sind eine Herausforderung, mit denen Erholungsräume wie zum Beispiel die Naturpärke zu kämpfen haben. Dieser Workshop fragte nach geeigneten, sozial verträglichen planerischen Instrumenten, um die Räume ausserhalb der Siedlungsgebiete zu schützen und nachhaltig zu nutzen. Mehr

Workshop 2: Zukünftiges Wohnen und Arbeiten gemeinschaftlich gestalten
Die Digitalisierung bringt weitreichende Möglichkeiten für Telearbeit und Flexibilität in der Arbeitsplatzwahl. Die geographische Nähe zum Arbeitgeber in den Ballungszentren ist oft nicht mehr zwingend nötig, und Berggebiete werden mehr und mehr zum Homeoffice-Arbeitsplatz. Diese Thesen wurden im Workshop kritisch untersucht. Stimmen sie überhaupt? Was sind die Auswirkungen multipler Wohnorte auf lokale Wirtschaftszweige, Bevölkerungsstrukturen und die Mobilität? Mehr

Workshop 3: Visionen und Wege zu nachhaltigem, regionalem Konsum
Unterschiedliche Lebensstile und Konsumverhalten beeinflussen die Gestaltung der Räume und deren Wechselwirkungen. In der Bevölkerung ist ein klarer Trend zu nachhaltigeren Ernährungsweisen und dem Konsum von lokal produzierten Produkten erkennbar, dennoch sind die Verbindungen zu den ProduzentInnen und entsprechende Möglichkeiten des Absatzes nicht immer gegeben. Dieser Workshop versuchte, die Herausforderungen und Strategien auf dem Weg zu einem nachhaltigeren, regionalen Konsum zu erörtern. Mehr

Fishbowl-Diskussion: Welches sind mögliche Forschungsfragen?
In der anschliessenden Fishbowl-Diskussion, moderiert von Olivier Jacquat, Head of Hub Bern der Wyss Academy, wurden die Workshop-Ergebnisse und die daraus entstandenen wichtigsten Fragen für die Forschung im Plenum präsentiert und diskutiert.

Workshop 1: Resiliente Erholungsräume schaffen – Wichtigste Forschungsfragen:

  • Wie können neue Erholungs- und Ferienrituale in der Bevölkerung geschaffen werden? Wie können ländliche Gebiete in der Region attraktiver werden für Feriengäste, anstatt dass man in den Süden fährt?
  • Wie schafft man eine Win-Win-Situation für die gemeinsame Raumnutzung? Beispielidee: Camping-Stellplätze auf Bauernhöfen
  • Wie kann man erreichen, dass Stadtbewohner die urbanen Gebiete nicht dauernd verlassen? Die Flucht Richtung Peripherie zeigt, dass die Probleme der Stadt (Lärm, Verkehr, wenige Grünflächen, unbezahlbarer Wohnraum…) angegangen werden müssen. Wie können die Vorteile von Veränderungen Richtung naturnahe Siedlungsräume aufgezeigt werden?

Workshop 2: Zukünftiges Wohnen und Arbeiten gemeinschaftlich gestalten – Wichtigste Forschungsfragen:

  • Wie können Menschen davon überzeugt werden, dass es positiv ist, wenn Siedlungsräume naturnah gestaltet und damit bessere ökologische Bedingungen geschaffen werden?
  • Was muss in ländlichen Gebieten geschehen um der Landflucht entgegenzuwirken? Wie kann die Peripherie von «Digital Workers» profitieren, welche Nahversorgungsangebote bräuchte es?
  • Der Bau-Boom in den Bergregionen hält an. Wie können Bautätigkeiten in den Bergregionen nachhaltig gestaltet werden? Zum Beispiel Baumaterial recyclen oder versuchen, die Wohnflächen pro Kopf zu reduzieren?

Workshop 3: Visionen und Wege zu nachhaltigem, regionalem Konsum – Wichtigste Forschungsfragen:

  • Viele Kleinunternehmen und Initiativen aus dem Bereich der nachhaltigen Ernährung haben Schwierigkeiten zu wachsen und sich betriebswirtschaftlich zu etablieren. Was wären angepasste Geschäftsmodelle und Fördermöglichkeiten?
  • Wie kann mittels effektiver Kommunikation die Masse erreicht werden? Wie können bestehende Nischenbewegungen im Bereich nachhaltigen Konsums und Ernährung im Kanton Bern breitenwirksamer werden?
  • Wie gelingt Transparenz in Bezug auf die Nachhaltigkeit und Kosten eines Produktes? Welche Kosten sowie Umweltauswirkungen hat es zu Beispiel im Ausland, wo es produziert wurde?
  • Welche sind vielversprechende Partnerschaften, um bessere Verbindungen zwischen städtischen und ländlichen Räumen herzustellen und was brauchen diese Partnerschaften an gesetzlichen Rahmen oder Finanzen?
  • Wie können die bestehenden Machtstrukturen (Monopol vom Detailhandel) innerhalb der Wertschöpfungsketten sozial-gerechter gestaltet werden?
  • Wie kann der Kreislauf zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben als «Provider» und den Konsumierenden besser gestaltet werden? Wie kann der Bezug von der Bevölkerung (insbesondere in städtischen Gebieten) zur Landwirtschaft wiederhergestellt werden? Kann sich dadurch die Zahlungsbereitschaft für teurere, regionale Produkte erhöhen?

Abschluss
Es besteht ein grosser Bedarf an geeigneten Förderprogrammen, wobei zum Beispiel multilaterale Forschungsansätze einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können. Insbesondere Projekte mit Leuchtturmcharakter tragen wesentlich zur Entwicklung und Förderung von naturnahen Siedlungsräumen bei. Eine weitere Herausforderung, welche in der Fishbowl-Diskussion angesprochen wurde sind die strengen regulatorischen Rahmendbedingungen welche innovative Forschungsprojekte oft beschränken. Reallabore wären zum Beispiel als Forschungsmethode angebracht; hier können gemeinsam und transdisziplinär Gestaltungsoptionen getestet und ausgewertet werden. Ein Beispiel ist die Public Private Partnership der Wyss Academy mit den Naturpärken im Kanton Bern. Auch «regulatorische Sandkästen», wo bestimmte Fragestellungen in einem geschützten Rahmen ausprobiert werden sollten vermehrt möglich gemacht werden. Die regulatorischen Rahmenbedingungen dürfen hier bei Bedarf überschritten werden, jedoch bleibt dies immer im Rahmen eines Monitoring- und Evaluationsprozesses.

Ingrid Kissling-Näf bekräftigt in ihrem Schlusswort, dass kleine Initiativen gebraucht werden, die aber in einem Raum agieren müssen, wo sie eine klare Wirkung zeigen. Dazu ist mehr systemisches, ganzheitliches Denken angebracht, sowohl in Forschungskreisen als auch in der Praxis und Politik.

Authors: Anne-Catherine Minnig, Dr Anja Bretzler

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