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Erhellende Wechselwirkungen

Empa-Forscherin Antonia Neels setzt bei der Nachwuchsförderung auf Erfahrungsaustausch

Bei der Untersuchung von Molekülen spielen Röntgenstrahlen – also elektromagnetische Strahlen mit kurzer Wellenlänge – eine herausragende Rolle. Eine Expertin auf diesem Gebiet ist Prof. Antonia Neels, Wissenschaftlerin an den Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology (Empa). Ihre Forschungsgruppe an den Empa-Standorten Dübendorf und St. Gallen befasst sich insbesondere mit Anwendungen in Biomedizin und Raumfahrt.

Prof. Antonia Neels arbeitet als Expertin für Röntgenkristallographie bei der Empa, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt.
Bild: Privat

Im Mittelalter war es ein Traum der Alchemisten, aus unedlen Metallen Gold herzustellen. Diese Versuche belächeln wir heute, ausgestattet mit dem Wissen der modernen Naturwissenschaften. Doch die Erschaffung von neuen, wertvollen Materialien ist aktuell wie damals. Menschen, die sich dieser Aufgabe widmen, bezeichnen sich heute als Materialwissenschaftler und Materialwissenschaftlerinnen.

Eine von ihnen ist Antonia Neels. Diese moderne Alchemistin, wenn man so sagen will, arbeitet an der Empa in Dübendorf. Dort leitet sie seit 2014 das Zentrum für Röntgenanalytik mit zehn Wissenschaftlerinnen und ebenso vielen Wissenschaftlern. Das Labor benutzt Röntgenstrahlen, um den molekularen Aufbau von Materialien zu untersuchen. „Die Chemie ist die Wissenschaft, die neue Materialien kreiert“, sagt Antonia Neels. „Unsere Untersuchungsmethoden der modernen Röntgenanalytik, speziell die Kristallographie, leisten dazu einen wichtigen Beitrag.“

Biomedizinische Materialforschung

Die Materialwissenschaft hat ein breites Anwendungsspektrum, vom Mikrochip bis zur Weltraumfahrt. Ein Arbeitsschwerpunkt von Antonia Neels und ihrem Team liegt in der Biomedizin. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen beispielsweise Materialien, die aus kristallinen und amorphen Anteilen bestehen. Ein Beispiel für solche teilkristallinen Materialien sind Textilfasern, wie sie z.B. in medizinischen Schutzmasken verwoben sind. Die Forschung von Antonia Neels zielt darauf ab, solche Stoffe besser zu verstehen. Das hilft dabei, die mechanische Stabilität und Wirksamkeit von Masken zu verbessern.

Für Neels Forschungsansatz steht auch eine Doktorarbeit, die sie in den letzten Jahren betreut hat. Eine Nachwuchswissenschaftlerin untersuchte darin, wie Nanopartikel medizinischer Wirkstoffe sich in einer biologischen Umgebung (Proteinen) verhalten. Die Erkenntnisse geben Hinweise darauf, wie wirksam Medikamente sind. Grosse medizinische Bedeutung hat beispielsweise auch die Erforschung von Implantaten und der Frage, wie diese vom Körper der Patientinnen und Patienten angenommen werden.

Nutzung von Röntgenstrahlen

Für diese und weitere wissenschaftliche Fragestellungen nutzt Empa-Wissenschaftlerin Neels die Kristallographie bzw. bildgebende Röntgenmethoden. Diese Methoden sind verwandt und haben gemeinsam, dass sie Röntgenstrahlen nutzen, welche eine kürzere Wellenlänge haben als Lichtwellen. Deshalb sind sie geeignet, kleinste Strukturen in der Grössenordnung von Nanometern (Milliardstelmetern) sichtbar zu machen. Bei der Kristallographie treffen Röntgenstrahlen auf kristalline Materialproben und erzeugen Diffraktogramme – Bilder, die die Beugung der Strahlen darstellen. Deren Auswertung liefert wertvolle Informationen über die 3-dimensionale Struktur von Molekülen. Die Kenntnis dieser Strukturen ist unabdingbar für unzählige Anwendungen. Ein anderes Vorgehen verfolgt die bildgebende Röntgenanalytik: Nichtkristallines Material wie Körpergewebe, aber auch Polymere werden hier über die Röntgentomographie charakterisiert, wie man das von medizinischen Anwendungen kennt.

„Als ich vor 30 Jahren begonnen habe, mit diesen Methoden zu arbeiten, war das sehr aufwändig und mit viel Handarbeit verbunden. Dank technologischen Fortschritten bei Röntgendetektoren, Röntgenquellen und Software-Lösungen haben wir diese Untersuchungsmethoden inzwischen stark weiterentwickelt“, sagt Antonia Neels, deren Forschungsgruppe an den Empa-Standorten Dübendorf und St. Gallen arbeitet. „Wir entwickeln gezielt Röntgenmethoden für Anwendungen speziell im biomedizinischen Bereich. Für Nano-Materialien (Nano-Partikel, Körpergewebe) und halbkristalline Materialien (Polymere) haben wir in St. Gallen eine Kompetenz aufgebaut, die uns spannende Zusammenarbeiten mit Schweizer Kollegen in Wissenschaft und Industrie gestattet“, sagt Neels. Seit fünfzehn Jahren gibt die Wissenschaftlerin ihr Wissen mit Vorlesungen an der Universität Freiburg an die nächste Forschergeneration weiter, seit 2018 als Titularprofessorin.

Von Ostberlin nach Neuenburg

Antonia Neels pendelt mit dem Zug zwischen ihren Arbeitsorten Dübendorf, St. Gallen und Freiburg sowie ihrem Wohnort unweit von Neuenburg, wo sie zusammen mit ihrem Mann und ihren erwachsenen Söhnen Sébastien und Niklas lebt. Dass die gebürtige Ostberlinerin am Neuenburger See eine zweite Heimat fand, verdankt sich einem Zufall: Angeregt durch ihren Vater, der als Chemiker an der Akademie der Wissenschaften der DDR arbeitete, hatte Antonia Neels in Ostberlin Chemie studiert. Nach dem Studienabschluss – die Berliner Mauer war kurz zuvor gefallen – bekam ihr Professor Kollegenbesuch aus Neuenburg. Der berichtete von einer freien Doktorandenstelle im Bereich Kristallographie in der französischen Schweiz. Ein interessantes Angebot, fand Antonia Neels, die in der Schule Französisch als zweite Fremdsprache gelernt hatte.

Von 1991 bis 1995 promovierte Antonia Neels an der Universität Neuenburg. Eine Inspirationsquelle dieser Zeit war Helen Stoeckli-Evans, die zuvor als Postdoc bei der britischen Nobelpreisträgerin Dorothy Hodgkin gearbeitet hatte, einer Mitbegründerin der Röntgenkristallographie. Antonia Neels widmete ihre Doktorarbeit der strukturellen Analyse von Koordinationspolymeren mit magnetischen Eigenschaften. Nach einem Jahr als Postdoc an der Texas A&M University (1995-96) kehrt Neels als Oberassistentin an die Universität Neuenburg zurück (1998-2006) und baut ab 2008 am Forschungszentrum CSEM in Neuenburg ein Röntgenlabor auf, zusammen mit einem passionierten Kristallographen Prof. Alex Dommann. Dort untersuchten sie unter anderem Defekte und Spannungen in Halbleitermaterialien, welche die Fertigungsqualität von Drucksensoren und anderen Halbleiter-Produkten beeinträchtigen können.

Erfahrungen teilen

Trotz einer beeindruckenden Karriere mit bisher über 200 wissenschaftlichen Publikationen versteht sich Antonia Neels als Familienmensch. „Die Familie bedeutet mir sehr viel, mit ihr gehe ich wandern, mache Camping und unternehme Reisen. Wenn Sie mich nach dem wichtigsten Ereignis in meinem Leben fragen, dann war es die Geburt meiner Söhne.“ Die persönlichen Erfahrungen in der Familie wirken in den Beruf zurück. Etwa wenn Antonia Neels Nachwuchsforscherinnen als Mentorin unterstützt. „Ich berichte in diesen Gesprächen gern über meine persönlichen Erfahrungen mit Familie und Kinderbetreuung. Ich ermuntere die Frauen mitunter auch, nicht alles alleine meistern zu wollen, sondern auch Unterstützung anzunehmen.“

Autor: Benedikt Vogel

Porträt #11 der Serie von Wissenschaftlerinnen im MAP Bereich (2021/22)

  • Von 2018 bis 2021 war Antonia Neels Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Kristallogra-phie (SGK). Bild: bei der Übergabe des SGK-Doktorandenpreises 2021 an Florian Kleemiss.
  • Antonia Neels unterrichtet an der Universität Freiburg und gibt Kurse an der ETH Lausanne. Darüber hinaus ist sie als Referentin tätig. Bild: bei einem ‚Technology Briefing Event‘ an der Empa.
  • Antonia Neels bei einem Treffen mit dem renommierten niederländischen Kristallographen Hugo Rietveld (und B. Bitschnau, TU Graz), dessen Methode sie anwendet und in ihren Kristallogaphie-Kursen an den wissenschaftlichen Nachwuchs weitervermittelt
  • Prof. Antonia Neels arbeitet als Expertin für Röntgenkristallographie bei der Empa, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt.
  • Von 2018 bis 2021 war Antonia Neels Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Kristallogra-phie (SGK). Bild: bei der Übergabe des SGK-Doktorandenpreises 2021 an Florian Kleemiss.Bild: M. Karamash, Uni Fribourg1/4
  • Antonia Neels unterrichtet an der Universität Freiburg und gibt Kurse an der ETH Lausanne. Darüber hinaus ist sie als Referentin tätig. Bild: bei einem ‚Technology Briefing Event‘ an der Empa.Bild: Empa2/4
  • Antonia Neels bei einem Treffen mit dem renommierten niederländischen Kristallographen Hugo Rietveld (und B. Bitschnau, TU Graz), dessen Methode sie anwendet und in ihren Kristallogaphie-Kursen an den wissenschaftlichen Nachwuchs weitervermitteltBild: Privat3/4
  • Prof. Antonia Neels arbeitet als Expertin für Röntgenkristallographie bei der Empa, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt.Bild: Privat4/4
Antonia Neels: Blick in den Kristall

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