10 Prozent weniger Gletschervolumen in nur 5 Jahren
Während mehrerer Hitzewellen im Sommer 2019 erreichte die Gletscherschmelze Höchstwerte. Dies führte zu einem weiteren Jahr mit starken Verlusten an Eisvolumen, wie die Expertenkommission für Kryosphärenmessnetze der Akademie der Naturwissenschaften berichtet. Damit schrumpften die Gletscher der Schweiz in nur fünf Jahren um 10 Prozent.
Die seit Jahren anhaltende starke Gletscherschmelze setzt sich fort. Auch 2019 schmolzen die Gletscher weit stärker als sie durch Schnee wachsen konnten, wie die Messung der Massenbilanz auf 20 Schweizer Gletschern zeigt. Allerdings ist die Situation weniger dramatisch als in den letzten beiden Jahren. Im April und Mai lagen 20-40 Prozent mehr Schnee auf den Gletschern als üblich. Noch anfangs Juni wurden stellenweise 6 Meter gemessen. Da die Schmelze relativ spät einsetzte, bestand bis zum Eintreffen der ersten Sommer-Hitzewelle die Hoffnung auf ein Jahr mit eher geringen Einbussen an Gletschervolumen. Während den zwei intensiven, einwöchigen Hitzeperioden Ende Juni und Ende Juli schmolzen aber innerhalb von nur 15 Tagen auf den Schweizer Gletschern Schnee- und Eismassen, die dem jährlichen landesweiten Trinkwasserverbrauch entsprechen. Die dicke Schneedecke war dadurch schnell weg, und die starke Schmelze hielt bis anfangs September an. Während der letzten 12 Monate gingen damit rund 2 Prozent des gesamten Schweizer Gletschervolumens verloren. Über die letzten fünf Jahre aufsummiert sind es über 10 Prozent – ein derartiger Verlust wurde in den über 100-jährigen Datenreihen noch nie beobachtet.
Schon über 500 kleine Gletscher sind verschwunden
Die Gletscher-Massenbilanz im Jahr 2019 ist durch regionale Unterschiede geprägt. Vor allem im Osten und auf der Alpennordseite waren die Verluste stärker als im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts. Bei vielen Gletschern wurde eine Reduktion der mittleren Eisdicke von 1 bis 2 Metern gemessen (z.B. Silvrettagletscher, Glacier de Tsanfleuron). Im südlichen Gotthardgebiet waren die Bedingungen aufgrund starker Schneefälle zu Beginn und Ende des Winters aber günstiger; einige Gletscher verzeichneten nur relativ geringe Verluste (z.B. St. Annafirn, Ghiacciaio del Basòdino). Der Zerfall kleiner Gletscher schreitet weiter voran: Über 500, meist namenlose Gletscher, sind seit etwa 1900 bereits verschwunden. Mit dem Pizolgletscher musste einer der ersten Gletscher mit langen Datenreihen aus dem Messnetz gestrichen werden.
Im Osten Rekordschnee im Winter
Der Winter 2018/19 war schweizweit durch einen sehr kalten und vor allem auf der Alpennordseite niederschlagsreichen Januar geprägt. Insbesondere im Osten fielen grosse Schneemengen. Von Liechtenstein über das Prättigau bis nach Davos verzeichnete man verbreitet die höchsten oder zweithöchsten Neuschneesummen, die je in zehn aufeinander folgenden Tagen gemessen wurden: 2 bis 3 Meter. In Graubünden wurde Mitte Januar vielerorts mehr Schnee gemessen als je zuvor zu diesem Zeitpunkt. Ende Februar waren die Schneehöhen nur noch am Alpenhauptkamm und im Osten überdurchschnittlich, auf der Alpensüdseite dagegen klar unterdurchschnittlich. Insgesamt war das Winterhalbjahr 2018/19 (Nov.-April) sehr schneereich. Aufgrund grosser Schneefälle im Dezember und April waren die Schneehöhen in mittleren und hohen Lagen entlang des Alpenhauptkamms, im Wallis, am östlichen Alpennordhang und in Graubünden überdurchschnittlich bis stark überdurchschnittlich.
Kühler Start in den Sommer
Der Mai war in allen Landesteilen deutlich kühler als üblich. Laut MeteoSchweiz war es der kälteste Mai seit 1991. Entsprechend schneite es vereinzelt bis ins Flachland, während im Hochgebirge die Schneehöhen weiter zunahmen. In Kombination mit den bereits grossen Winter-Schneemengen kumulierten sich die Schneehöhen bis Ende Mai in hohen Lagen auf das Zwei- bis Dreifache des langjährigen Mittels. Diese Schneemassen schmolzen im Verlaufe des zweit-heissesten Junis seit Messbeginn und eines ebenfalls sehr warmen Julis extrem schnell dahin, so dass die Ausaperung vielerorts nur wenig später als sonst stattfand. Der Sommer 2019 (Juni-August) war der drittwärmste seit Messbeginn. Im Gegensatz zum heissen Sommer 2018, gab es 2019 in den meisten Regionen aber ausreichend Niederschlag. Aufgrund der grossen Wärme wurden Sommer-Schneefälle nur oberhalb von 3000 Metern registriert. In der ersten September-Hälfte fiel hingegen Schnee teils bis unter 2000 Meter.
Kontakt
Dr. Matthias Huss
ETH Zürich
Departement Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG)
Versuchsanstalt für Wasser, Hydrologie und Glaziologie (VAW)
Hönggerbergring 26
8093 Zürich