«Klimaschutz kostet weniger, wenn wir unser Verhalten ändern»
ProClim Flash 76
Wie lässt sich der Klimawandel stoppen? Müssen wir dazu unseren Lebensstil radikal ändern oder wird die Technik es richten? ProClim Flash hat mit Irmi Seidl und Anthony Patt darüber gesprochen.
Moderation: Martin Kohli, ProClim
Um den Klimawandel einzudämmen, müssen die Treibhausgasemissionen auf netto null sinken – darüber sind sich Forschende einig. Die Wissenschaft zeigt aber auch Wege auf, wie dies zu erreichen ist. Unterschiedliche Ansichten dazu haben Irmi Seidl, Titularprofessorin für Umweltökonomie, und Anthony Patt, Professor für Klimapolitik. ProClim Flash hat sie zum Gespräch eingeladen.
Frau Seidl, in wenigen Sätzen zusammengefasst, wie kommen wir aus der Klimakrise heraus?
Seidl: Um den Klimawandel zu bremsen, braucht es Veränderungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Eine der grossen Aufgaben ist sicherlich die Transformation des Energiesystems. Dabei muss Energiesuffizienz, bei der es darum geht, den Energiebedarf dauerhaft zu begrenzen, eine zentrale Rolle spielen. Um dies zu erreichen, müssen sich unsere Konsum- und Produktionsmuster ändern – denn die Technik wird nicht alles richten.
Dabei sollten wir bedenken, dass global 10 Prozent der Individuen verantwortlich sind für 45 Prozent der CO2-Emissionen. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung hingegen hat einen sehr geringen Energie- und Ressourcenverbrauch und verursacht lediglich 13 Prozent der globalen Emissionen. Es sind also Produktion und Konsum mit hohen Emissionen in den Blick zu nehmen.
Patt: Die radikalste und zielführendste Massnahme wäre, die Nutzung fossiler Energien sofort zu verbieten. Das würde aber heissen, dass sehr viele Menschen ihren Lebensstil grundlegend ändern müssten, sie dürften nicht mehr fliegen oder ihre Wohnung nicht mehr mit Öl heizen – ein solches Verbot wäre politisch unmöglich durchsetzbar.
Um die Emissionen zu senken, sind wir deshalb auf technische Lösungen angewiesen, denn durch Verhaltensänderungen der Gesellschaft werden wir es nicht schaffen, auf null zu kommen. Wie sollte man Leute dazu bringen, so viel weniger zu konsumieren? Da helfen leider auch keine Studien, die aufzeigen, dass weniger Konsum einen positiven Einfluss auf unsere Lebensqualität hätte. Die Wissenschaft hat schlicht keine Antworten, wie solche massiven Verhaltensänderungen rasch herbeigeführt werden könnten.
Seidl: In der Ökonomie wissen wir schon lange, wann Menschen ihr Verhalten ändern: Wenn Preise steigen, beispielsweise durch Steuern oder Abgaben, oder wenn umweltschädliche Subventionen nicht weiter gewährt werden. Bisher werden diese Hebel kaum eingesetzt, auch wenn Konsens darüber besteht, dass externe Kosten zu internalisieren sind. Auch anderes ist denkbar: Werbung für besonders energieintensive Produkte verbieten wie in Frankreich diskutiert, ein Ende von Kurzstreckenflügen einführen oder Energiepreise progressiv gestalten.
In der Schweiz hat sich die Bevölkerung aber letzten Sommer gegen höhere Abgaben ausgesprochen.
Seidl: Eine Rolle dürfte gespielt haben, dass mit viel Geld aus Lobbykreisen Falschinformationen gestreut wurden. Die neuen Transparenzregeln sollten künftig solche Praktiken besser beleuchten. Doch Widerstand gibt es auch bei technischen Lösungen: So wird in Deutschland seit Jahren ein Stromnetz zwischen Norden und Süden geplant. Einsprachen ziehen den Bau hin.
Dass Verhaltensänderungen Potenzial haben, zeigt sich darin, dass gar die Internationale Energieagentur kürzlich zehn Empfehlungen zum Einsparen von Öl veröffentlicht und sich damit an ihre Mitgliedsländer wie die Schweiz gewandt hat.
Anthony Patt, Sie sehen den Klimawandel in erster Linie als Technologie-Problem. Was ist ihr Rezept, um die die Erwärmung einzudämmen?
Patt: Gefragt sind politische Massnahmen, die mehrheitsfähig sind und darauf abzielen, komplett von den fossilen Energien wegzukommen. Im neuesten Klimabericht haben wir analysiert, mit welchen Regierungspolitiken man diesem Ziel näher kommt. Norwegen ist diesbezüglich ein gutes Beispiel: Das skandinavische Land hat die E-Mobilität finanziell stark gefördert und auch die dafür notwendige Infrastruktur wie etwa Ladestationen ausgebaut. Innerhalb von zehn Jahren konnte so der Anteil an Elektroautos von 0 auf 8 Prozent erhöht werden. Damit fallen auch die Emissionen aus dem Personenverkehr.
Seidl: Wir sollten als erstes alle möglichen Massnahmen ergreifen, um den Privatverkehr deutlich zu reduzieren, denn die Produktion und der Betrieb dieser Fahrzeuge ist energieintensiv. Immer noch beträgt global der Anteil fossiler Energie am Gesamtenergieverbrauch 80 Prozent (in der Schweiz 63 Prozent). Hinzu kommt die Materialintensität: Ein Tesla Model 3 wiegt zwei Tonnen, davon macht die Batterie schon eine halbe Tonne aus. Durchschnittlich werden damit 1,6 Personen, also ca. 130 Kilogramm, transportiert. Die derzeitige Autodichte mit Elektroautos zu ersetzen, dürfte materiell und energetisch nicht möglich sein.
Patt: Der grösste Teil der Energie wird für den Betrieb der Fahrzeuge benötigt. Aber klar, wir müssen auch sicherstellen, dass die Produktion schlussendlich klimaneutral sein wird. Dazu muss auch in der Industrie die Elektrifizierung weiter vorangetrieben werden. Der dafür notwendige klimaneutrale Strom sollte in Zukunft vorhanden sein: In Europa, den USA und in China beobachten wir momentan einen ziemlich rasanten Übergang zu einer klimaneutralen Stromversorgung. Zwischen 80 und 90 Prozent der neuen Investitionen fliessen in erneuerbare Energien – in China zwar ein Teil auch noch in Kernkraftwerke.
Die Analysen im neuesten Klimabericht zeigen: Eine Transformation bis 2050 ist in allen Sektoren möglich, denn die technischen Lösungen stehen bereit – jetzt ist es an der Politik, diese entsprechend zu fördern.
Seidl: Der IPCC setzt dabei auch auf Technologien, deren Einsatzfähigkeit in naher und mittlerer Zukunft nicht sicher ist: zum Beispiel auf synthetische Treibstoffe, um den Flug- und Schiffsverkehr klimaneutral zu machen. Auch Technologien für die Entnahme und Speicherung von CO2 aus der Luft sind noch lange nicht bereit für einen grossflächigen Einsatz.
Patt: Was die synthetischen Treibstoffe angeht bin ich optimistisch: Wenn in diesem Bereich ähnliche politische Massnahmen wie bei der Wind- und Solarenergie ergriffen werden, so sollten die Treibstoffe in naher Zukunft einsatzbereit sein. Dies könnte dann wiederum Technologien zur CO2-Entnahme überflüssig machen.
Alles auf die Karte Technik zu setzen, scheint aber trotzdem riskant. Es führt wohl kein Weg daran vorbei, dass wir auch unser Verhalten ändern?
Seidl: Verhaltensänderungen erlauben, technische Massnahmen auf solche zu beschränken, die vergleichsweise billig bzw. energieeffizient sind. Skalenerträge fallen nicht dauerhaft an und grundsätzlich steigen auch Kosten bzw. Aufwand für technischen Massnahmen.
Unser grosser Ressourcenverbrauch belastet nicht nur das Klima, sondern hat auch einen wichtigen Anteil am Biodiversitätsverlust. Diese Krisen zu begrenzen, geht nicht ohne einen ressourcenschonenderen Lebensstil. Andernfalls droht Energie- und Ressourcenarmut für sehr viel mehr Menschen als bisher.
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ist Ökonomin und leitet die Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Zudem ist sie Titularprofessorin an der Universität Zürich und lehrt dort und an der ETH Zürich.
ist Professor für Klimapolitik am Institut für Umweltentscheidungen der ETH. Beim neuesten IPCC-Bericht fungierte er als koordinierender und leitender Autor des Kapitels über die internationale Zusammenarbeit.